Seid ehrlich: Es geht um Sex

Kinbaku ist erotisch. Kinbaku ist Leiden. Kinbaku ist pervers. Kinbaku ist – in Japan – Porno!

Im Kinbaku geht es um unsere dunkelsten Phantasien: Bondage, Versklavung, Beschränkung unserer Freiheit. Es geht um die süße Lust, Schmerzen zu erleiden oder zuzufügen. Es ist der gleiche Teil in uns, der sich an einer Unfallszenerie oder einem Horrorfilm erregt. Das ist nicht moralisch. Es ist ein Bruch von sozialen Tabus. Deshalb tun wir, was wir tun, hoffentlich informiert, bewusst und einvernehmlich. Im wahren Leben helfen wir Menschen in Not und unterstützen „Amnesty International“.

Ich weiß, die Welt des Bondage ist bunt. Menschen erfreuen sich unterschiedlicher Dinge, wenn sie mit Seilen „spielen“.

Und dennoch, manchmal werde ich misstrauisch. Kann Bondage wirklich alles sein? Kann Bondage nur(!) Kunst sein? Kann Bondage Yoga sein? Kann Bondage heilen? Kann man die Erotik, die dunkle Erotik vor allem, komplett aus dem Bondage entfernen?

Ich bezweifle das.

Ich habe lange Aikido trainiert. Aikido ist sehr körperlich. Man fasst sich dauernd an, und es gibt Techniken, bei denen sich Körper ganz nah sind, näher vielleicht als bei einer Umarmung. Aikido ist nicht erotisch. Es ist mehr wie Yoga. Es geht darum, sich gegenseitig bei der persönlichen Entwicklung zu helfen. Deshalb diskriminieren wir im Aikido nicht bei der Partnerwahl. Natürlich habe ich meine bevorzugten Trainingspartner. Trotzdem: Im Laufe einer Unterrichtseinheit trainiere ich mit verschiedenen Menschen. Mit alten Männern. Mit jungen Frauen. Mit dicken (schwitzenden!) Männern. Mit dicken Frauen. Mit Leuten, die noch steif und unerfahren und grob sind, Menschen, die mir weh tun. Mit Kindern manchmal, wenn es große Lehrgänge sind. In jeder Begegnung kann ich etwas lernen, in jeder Begegnung kann ich (hoffentlich) meinen Partner etwas geben.

Wenn Shibari wirklich wie Yoga oder Aikido wäre, müsste man sich im Park oder im Dojo treffen, und ohne zu diskriminieren mit jeder oder jedem fesseln, der oder die halt gerade auch da ist. Das ist nicht, was ich beobachte. Vor allem die Männer, die den nicht-sexuellen Aspekt von Shibari betonen, scheinen diese Kunst dann doch vorrangig mit jungen, schlanken, hübschen Frauen zu praktizieren.

Mir scheint diese Negierung des Sexuellen eher eine Dating-Strategie zu sein. Wir spielen Verstecken. Und ehrlich, das Verstecken ist ein Teil des Spiels. Es macht Spaß, mit den Worten das eine, mit den Augen das andere zu sagen. „Willst Du noch auf einen „Kaffee“ zu mir hoch kommen?“ Das Spiel ist gut, solange alle Beteiligten wissen, dass es ein Spiel ist. Es scheint mir so, auch im Lichte trauriger Ereignisse in wichtigen Communities in Europa, dass es kein gutes Spiel mehr ist. Vielleicht haben einige Menschen zu stark betont, dass es nicht-sexuell ist, obwohl sie klare sexuelle Intentionen hatten. Vielleicht haben ein paar Menschen diese Botschaft zu ernst nehmen wollen, haben die versteckte Intention nicht sehen wollen. Ich weiß es nicht.

Ich glaube aber, dass mehr Ehrlichkeit uns allen gut tun würde – und auch die leidige Debatte um Konsens auf eine andere Basis stellt. Ehrlichkeit fängt bei uns an. Und mit „uns“ meine ich UNS, die Rigger, Rope-Tops, wie auch immer wir uns nennen mögen. Die Bunnies, Menschen im Seil haben nämlich in meiner Beobachtung mittlerweile formal gut gelernt, ihre Wünsche und Grenzen zu kommunizieren. (Ob sie gelernt haben, versteckte Motivationen auf der anderen Seite gut zu erkennen, sei dahin gestellt).

Aber was ist mit uns? Warum fesseln wir? Mit Verlaub – den wenigsten fesselnden Männern glaube ich, dass es keine sexuellen Motive gibt. Weil sonst – Aikido oder Yoga, siehe oben… Die meisten Männer, mit denen ich „privat“ spreche, – von schüchternen Erst-Teilnehmern in der EURIX bis hin zu Bondage-Lehrern geht es um irgendeine Art von Erotik oder Sex. Wenn sie integer sind, kommunizieren sie das auch so. Erotik ist etwas sehr schönes. Sexualität und Beziehungsanbahnung sind ziemlich verwirrend in unserer Gesellschaft. Wir reproduzieren soziale Muster und halten scheinheilige moralische Standards aufrecht. Wenn wir glauben, „verführen“ zu müssen, und „tricksen“ meinen, dann ist etwas falsch.

Aber hier ist die Chance, etwas besser zu machen. Lasst uns ehrlich sein. Und dann: Lasst uns mutig sein. „Ich finde Dich attraktiv, und ich möchte mit Dir fesseln.“ Klar, die Chancen auf eine nicht-reziproke Antwort sind eventuell hoch. Aber ich fessle doch lieber nicht mit der Frau, die mich nicht gleichermaßen attraktiv findet, wie ich sie, anstatt irgend eine konsent-verhandelte Session zu machen und zu hoffen, dass meine Fähigkeiten oder geheime KI-Tricks sie doch noch willig machend…

Wenn die Partner auf beiden Seiten des Seils klarer ihre Wünschen und Bedürfnisse kommunizieren, anstatt nur die Partner im Seil ihre Grenzen, dann würde, vermutlich, weniger gefesselt. Wir, die Rigger, müssen ab- und zu aus der Konsensverhandlung aussteigen. Eine Frau spricht mich auf der Jam an, weil ich offensichtlich den Ruf habe, besonders „sadistisch“ zu sein. Ihre ersten Worte sind: „Normalerweise fessle ich nicht mit Männern“ und später „Ich möchte nicht, dass Du mich sexuell berührst“. Sie war hübsch und biegsam, und sah im Gyaku-Ebi sehr gut aus. Ich habe mich bemüht, ihr eine gute Session zu geben. Ich habe sie nicht „sexuell“ berührt. Aber eigentlich wäre es integrer gewesen, wenn ich gesagt hätte: „Danke, dass Du Deine Grenzen so klar kommunizierst. Ich glaube, wir sollten nicht gemeinsam fesseln.“ Denn ich will erotisch berühren, Erotik ist für mich der Kern von Kinbaku.

Mit Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, wir mögen uns gegenseitig, sind die Begegnungen im Seil überraschend einfach… Dann kann man mit viel Emphatie voran tasten, probieren – ein Interview führen. Eigentlich machen wir keine festen Regeln, es ist mehr so, dass wir Vertrauen herstellen. Vertrauen, dass Nein gesagt werden kann, und gehört wird.

Und zum Schluss noch ein Wort zu Shibari und Therapie. Eine starke emotionale Erfahrung wie Bondage kann sicher einen therapeutischen, heilenden Effekt haben. Viele Menschen tragen Trauma in sich. Bondage ist eine extreme Erfahrung, manchmal nur in einer einfachen Umschlingung mit Seil.

Gute Therapeuten sind selten zu finden. Scharlatane gibt es viele. Und Schamane werden schon als kleine Kinder von den Ältesten des Stammes in Ihre Rolle eingeweiht, durchlaufen komplexe Initiationsriten. Sie werden nicht im Jahrestraining oder in Wochenend-Workshop ausgebildet. Sie haben auch keine Hochglanz-Homepage sondern wohnen in der Hütte im Wald. Sie sind klein, bescheiden und unauffällig.

Wenn Sexualität und Therapie vermischt werden, entsteht eine explosive Situation. Immer wieder führt diese Situation zu Missbrauch. Es braucht eine hohe menschliche Reife um in diesem Bereich therapeutisch, heilend wirksam zu sein. Nur wenige Menschen können einen therapeutischen Raum öffnen, halten und wieder schließen.

Gute Therapeuten, die auch noch gut mit Seil umgehen können, sind – statistisch gesehen – extrem selten. Und wenn es sie irgendwo gibt, dann heilen sie… genau: Wie beim Aikido-Training ohne Diskrimination alte hässliche Männer genau so wie junge hübsche Frauen. Wenn es anders sein sollte: LAUF…