Es gibt viele Gründe, warum zwei Menschen miteinander fesseln. Sie reichen von Liebe und gegenseitiger Anziehung bis hin zur Angeberei und sich selbst beweisen müssen. Die Leute finden einen bestimmten Seilstil vielleicht attraktiv und möchten ihn ausprobieren. Die Leute wollen ein besonderes Gefühl bekommen, zum Beispiel „fliegen“ in der Suspension. Die Leute wollen ein bestimmtes Seilmuster/Pattern/Technik üben. Nichts davon ist falsch oder kann verurteilt werden – solange die Absicht klar ist und Einvernehmen/Konsens darüber herrscht, was passieren wird.
Was ist Konsenz (nicht)?
Zuerst sollten wir „Konsens“ genauer definieren. Viele Leute verwechseln Konsens/Einvernehmen mit Erlaubnis. Man verwendet die Begriffe synonym: „Ich gebe mein Einverständnis“, „Ich werde Zustimmung erhalten“. Aber „Einvernehmen herstellen“ ist viel mehr als „die Erlaubnis erteilen“. Nachdem wir letztes Jahr mit Dr. Betty Martin “The Wheel of Consent” studiert hatten, fanden wir ihre Definition am genauesten: Zustimmung ist eine Vereinbarung, die vier Elemente abdeckt: Wer macht was für wie lange mit welcher Absicht? Letzteres klären die Fragen: Für wen ist es? Wer gibt wem?
Die übliche Antwort auf diese Frage lautet: „Es ist für beide, gegenseitig“. Und natürlich ist es auch irgendwie so. Natürlich können beide genießen, was sie tun! Aber die Frage ist nicht, wer genießt. Sondern die Frage ist, wessen Agenda bei dieser Seilsitzung befolgt wird, wer ein Geschenk erhält … Und ein Geschenk an den Partner zu geben kann genauso bereichernd sein, wie ein Geschenk zu erhalten.
Warum ist es wichtig, diese Fragen zu stellen?
1. Weil Handeln/Tun (z.B. Fesseln) und Geben nicht dasselbe sind
2. Weil wir Menschen dazu neigen, Dinge anzunehmen
3. Weil wir Menschen dazu neigen, Dinge zu tolerieren
4. Weil es die Frage der Verantwortung klärt – was eine Checkliste z.B. nicht kann
5. Weil es eine klare Struktur gibt, um gemeinsam über Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen zu
sprechen
6. Weil wir Menschen gerne überrascht werden, aber wir brauchen auch einen sicheren Rahmen
7. Weil es wirklich hilft, sich mit der Frage zu konfrontieren – warum machst du was du tust?
8. Weil es dich deinem Partner näher bringt – versprochen!
„Handeln“ und „Geben“ werden sehr häufige verwechselt, wenn es um Konsensverhandlungen geht. Der Fokus liegt auf einem „aktiven“ und einem „passiven“ Partner.(Wir mögen diese Begriffe beispielsweise nicht und bevorzugen „die fesselnde Person, oder der/die Fesselnde“ und „die Person in den Seilen, der/die Gefesselte“). Also missverstehen Leute diese Begriffe oft in der Annahme, dass die fesselnde – weil aktive – Person auch diejenige ist, die gibt. In der Folge ist es die Person in den Seilen, die während der Vorbesprechung über ihre Vorlieben und Abneigungen sprechen wird und der fesselnden Person bleibt oft eine unklare Perspektive, wie sie ihre Agenda „einschmuggeln“ kann. Manche Fesselnden wagen es dann und versuchen „ihr Bestes“. Andere, die sich nicht trauen, erleben ein wachsendes Gefühl der Unzufriedenheit … Das Problem ist jedoch leicht zu lösen, indem man genau diese Frage stellt:
„Für wen ist es?“
Und dann können wir konkret werden: „Ich mag den Futo-Momo-Tsuri , kannst du mich so hinhängen?“ enthält eine andere Botschaft als: „Ich hab gesehen, wie du fesselst. Ich ergebe mich deinem Seil für eine Session, solange klar ist, dass es keine Penetration geben wird „. Es klingt auch ganz anders als „Wolln´wa fesseln?“
Aber wie sollten wir vorgehen? Wie können wir eine intentionsbasierte Verhandlung gestalten? Abhängig davon, wer das Geschenk erhält und wer fesselt, haben wir zwei mögliche Dynamiken. Folgende Szenarien sind denkbar:
1.1.) Der Fesselnde ist der Beschenkte:
Der Geschenk-Empfangende Partner ist dafür verantwortlich, seine Wünsche und Sehnsüchte zu kommunizieren. Wenn du der Fesselnde bist, und du hast dich mit deinem Partner geeinigt, dass diese Session für dich ist, könntest du fragen: „Darf ich …?“ Dabei kann man sich auf bestimmte Aspekte beziehen.: „Darf ich sexuell mit dir werden? Darf ich dich foltern? Was sind deine Grenzen bei sexueller Berührung? Was sind deine Grenzen bei Schmerz / Schlagen? Wie weit darf ich gehen?“ Die Antwort könnte Ja / Nein / Vielleicht sein.
Mit der Frage „Darf ich …?“ Übernimmst du die Verantwortung für das, was DU tun möchtest. Du zeigst verantwortliches Handeln zu deinem eigenen Vorteil. Es ist so einfach: Wenn du dir etwas nehmen möchtest, was nicht dir gehört, musst du fragen. Wenn du den Stift deines Sitznachbarn willst, fragst du. Wenn Du die Haut eines Menschen berühren willst, fragst du! Die Frage erschafft eine Vereinbarung. Ausprobieren, bis sie „Nein“ sagt, nicht.
Sobald die Grenzen bekannt sind, liegt es in deiner Verantwortung, sie zu schützen. Es liegt niemals in deiner Verantwortung, sie zu erraten. Wenn dein Partner dabei ungenau bleibt, gibt es nur einen guten Weg, um einen sicheren Rahmen für ein Spiel zu schaffen: Investiere zusätzliche Zeit und hilf deinem Partner, seine Grenzen zu finden, bevor ihr das Spiel beginnt. Wenn der Partner nicht bereit ist mit dir zu kooperieren und bei „Oh, ich will nur ein paar Erfahrungen sammeln…“ bleibt, denke über deine eigene Sicherheit nach und vielleicht entscheidest du dich, nicht mit ihm zu fesseln.
1.2.) Der Gefesselte ist der Schenkende
Auf der anderen Seite, für die gefesselte Person im Seil, die bereit ist sich ganz zu ergeben: Es liegt in DEINER Verantwortung, deine Grenzen zu kommunizieren. Das ist wirklich sehr wichtig und deshalb nochmal: Deine Grenzen zu kennen und zu kommunizieren ist DEINE Verantwortung! Man hört manchmal „um mich sicher zu fühlen, muss ich meinem Partner vertrauen“. Aber das ist ein Trugschluss. Die Person, der du vertrauen musst, bist du selbst. Es liegt nicht in der Verantwortung deiner Partner, deine Grenzen zu erraten. Aber es ist ihre Verantwortung, deine Grenzen zu respektieren, sobald du diese kommuniziert hast.
Wenn sich das „Ergeben“ in den Seilen schwierig anfühlt, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass du noch keine innere Klarheit über deine Grenzen hast.
Wie findest du deine Grenzen? Kleine Schritte, gehe langsam, finde zuerst deine Komfortzone – wo es sich absolut sicher anfühlt – und wachse langsam von dort aus. Betty Martin lehrt: “Höre auf den Sog, nicht den Anstoß”. Der Sog kommt aus deinem Inneren, es ist diese kleine schüchterne Stimme, die sagt: “Hmm… Ich würde das so gerne ausprobieren, obwohl es sich ein bisschen beängstigend anfühlt…” Der Anstoß kommt von außen, vielmehr als Druck, das zu tun, von dem wir denken, dass wir es tun SOLLTEN. Es stimmt, dass sich dieser Druck wie ein innerer Impuls anfühlen kann, aber der Stoß kommt von außerhalb. Deshalb: Vertraue dir selbst, die Verantwortung dafür zu übernehmen, wie weit du gehen möchtest. Überlasse es nicht der fesselnden Person – das ist unethisch und funktioniert einfach nicht. Ein weiterer Grund, sich nicht sicher zu fühlen und loslassen zu können: du vertraust nicht darauf, dass deine eindeutig kommunizierten Grenzen respektiert werden. Wenn dies der Fall ist, solltest du dich wahrscheinlich fragen, warum du überhaupt mit dieser Person fesseln möchtest.
2.1.) Der Fesselnde ist der Schenkende
Wie ist die Situation, wenn die fesselnde Person, ein Geschenk anbietet? Wenn du als Fesselnder die Absicht hast, einer anderen Person zu dienen, fragst du nicht: “Darf ich…?” Das ist nicht für dich. Du machst ein klares Angebot: “Möchtest du von mir gefesselt werden? Sag mir, wie du es magst.” Das ist eine komplett andere Dynamik als die, die wir oben beschrieben haben. Wenn du deinem Partner wirklich ein Geschenk machen willst, mach dich frei von deinen eigenen Bedürfnissen. Dazu gehören die Dinge, die DU gerne tust, einschließlich der Reaktionen, die DU sehen möchtest. Die Kunst des Gebens ist herauszufinden, was dein Seilpartner will. Verbale und nonverbale Kommunikation kann dir hier helfen. Es gibt viele Lehren da draußen, aber vor allem solltest du eine klare Absicht/ Intention im Kopf haben: Es geht diesmal nicht um deine beeindruckende Seiltechnik. Es geht um deinen Partner, die Person in Seilen.
Wenn du dienst, bist du dran, auf deine Grenzen achtzugeben. Es ist auch für fesselnde Personen okay, Nein zu sagen. Soweit wir wissen, ist das kein besonderes Privileg für Leute, die gefesselt werden.
2.2.) Der Gefesselte ist der Beschenkte
Was den Partner auf der empfangenden Seite betrifft: jetzt bist du an der Reihe, über deine Wünsche zu sprechen. Wenn du für dich selber gefesselt werden möchtest, formulierst du eine Bitte: „Würdest du bitte dies und jenes für mich tun? Ich genieße Suspensions sehr… und das kratzige Gefühl von Seil auf meiner Haut…“ Hierbei bittest du deinen Spielpartner, etwas für dich zu tun, dir Zeit und Energie zu widmen. Vielleicht hörst du Ja / Nein / Vielleicht. Hierbei kannst du auch konkrete Fragen stellen. Indem du fragst, übernimmst du die Verantwortung für das, was DU erhalten willst. Kommuniziere klar und deutlich, was du wirklich willst. Sich mit dem zu begnügen, was dein Partner anbietet, reicht nicht aus. Und wenn du empfängst, musst du dir keine Gedanken darüber machen, sofort etwas zurückgeben zu müssen, obwohl du dies natürlich mit deinem Partner aushandeln kannst.
Je ehrlicher und eindeutiger wir mit unseren Selbstaussagen sind, umso klarer wird es, ob unsere Absichten zusammenpassen. Beispielsweise: Wenn einer sagt „Würdest du mich in eine Suspension hängen und mir
den Raum schaffen, das zu genießen?“ und der andere erwidert: „Öhm, eigentlich wollte ich dich fragen, ob du Bock auf sexuelles Semenawa hast?“, dann wisst ihr sofort, dass ihr nicht gut zusammenpasst, ohne die leidvolle Erfahrung gemacht zu haben.
In a nutshell
Um es abzuwickeln:
- Sei klar und ehrlich mit dir selbst bezüglich deiner Wünsche, Grenzen und Absichten
- Kommuniziere es deinem Partner, mit Offenheit
- Lade deinen Partner dazu ein, es dir gleichzutun
- Schweig und höre zu, gehe sicher, dass du ihn verstanden hast
- Bleib im Hier und Jetzt. Es geht nicht darum, was du normalerweise magst, sondern was du jetzt gerade mit dieser bestimmten Person tun willst. Welches Geschenk möchtest du ihr machen? Und welches Geschenk würdest du gerne empfangen?
Warum passieren Verletzungen des Einvernehmens (consent violation) oder zumindest „Verwirrungen“ diesbezüglich viel zu oft? Wir denken, es gibt zwei Hauptgründe. Erstens gibt es Leute, die denken, dass sie ihren Partner lesen können, sodass sie immer wissen, ob es ihm gut geht. Das funktioniert aber nicht. Leute tendieren dazu, Dinge zu tolerieren. Schon als Säuglinge wurden wir ohne unser Einverständnis angefasst, sodass unser Nervensystem sich daran gewöhnt hat und es sich normal anfühlt. Solange man sich das nicht bewusst abgewöhnt, ist das für viele von uns der Default-Modus. Selbst mit den besten Absichten kannst du also Schaden zufügen.
Zweitens: Die Leute nennen ihre Absichten nicht offen und ehrlich. Oft traut sich die fesselnde Person nicht, um das zu bitten, was sie wirklich will. Denn das macht dich verdammt verletzlich und nackt mit all deinen offengelegten Wünschen und „Perversionen“. Deswegen werden diese oft in einem Angebot oder einem verdeckten Wunsch verpackt. Anstatt die Person, die ich heiß finde, zu fragen „Kann ich dich rauh und hart fesseln?“, biete ich ihr vielleicht an, ihr eine Hängematte zu knüpfen oder ähnlich technische Dinge. Aber wenn da ein unausgesprochener Wunsch nach mehr ist, bewegen wir uns in der Grauzone, die an Einvernehmlichkeitsverletzungen (consent violation) grenzt.
Aber es gibt Hoffnung. Leute, die in die Seilszene kommen, haben mehr und mehr ein Bewusstsein für ihre Grenzen, kommunizieren diese deutlich und verhandeln miteinander.
Unsere Botschaft: Seid achtsam mit euch und euren Partnern!
(Aus dem Englischen übersetzt und ergänzt von Coeur_de_Lionne und Wanderburg)