Seme-nawa ist heutzutage beliebt. Viele fühlen sich zu dieser dunkleren, erotischen, herausfordernden und vor allem sehr emotionalen Form von Kinbaku hingezogen.
„Viele Menschen machen Naka-Fesselungen, aber nur sehr wenige fesseln im Naka-Stil.“ Riccardo Wildties
Aus meiner Sicht – derjenigen, die gefesselt wird – wird viel von dem echten Seme-nawa-Gefühl von der Person in den Seilen geschaffen, nicht nur durch die Intention und die Fähigkeiten der Person, die fesselt. Ich glaube, dass es unsere Einstellung ist, unsere Präsenz, wie wir bei uns selbst und bei unserem Partner sind, unsere Emotionen, unsere großzügige Einladung, unsere furchtlose Hingabe – das ist es, was den großen Unterschied macht, was bestimmt, ob es nur die Imitation eines beliebten Stils oder ein tiefer magischer Moment für zwei Menschen und wahrscheinlich auch für Zuschauer ist.
Ebenso geht es um die Macht-Dynamik, die wir in dieser Fessel-Session zulassen. Als ich bei unserem Kurzbesuch in Tokio in diesem Jahr Japanern beim Fesseln zusah, konnte ich eine ganz andere erotische Macht-Dynamik beobachten als die, die ich in Europa oft sehe … Hier in Europa fühlen Rigger sehr oft den Druck, die Erwartungen der Models zu erfüllen oder dafür zu sorgen, dass sie Spaß haben. Und wir Bottoms tun uns schwer mit der Hingabe – auch wenn wir uns danach sehnen.
Hier sind also meine Gedanken dazu, wo wir, die Bottoms im Seil, mit unserer Denkweise und unserer Einstellung etwas bewirken und die Magie mitgestalten können.
1.Dir deiner eigenen Intention bewusst sein
Seme-nawa ist unangenehm. Es ist kein Spiel, das man nebenbei spielt. Seme-nawa bringt dich an die Grenzen deiner Belastbarkeit, Seme-nawa fordert heraus, was du über dich selbst zu wissen glaubst, Seme-nawa bringt dich zum Schwitzen, Zittern und Fühlen.
Irgendwann wirst du dich fragen, warum du das tun möchtest. In Workshops wird das selten angesprochen, Models reden mehr über Schmerzverarbeitung, Grenzen und Sicherheitsaspekte beim Fesseln. Das ist alles sehr wichtig, aber ich glaube, dass die wichtigste Frage, die man sich stellen muss, ist: Warum? Was treibt dich an? Nach was suchst du in den Seilen?
Die Intention unterscheidet sich von den Erwartungen, die man an etwas hat. Die Intention wächst von innen heraus, aus meiner inneren Landschaft, aus einer tieferen Selbsterkenntnis und Akzeptanz, aus der Konfrontation mit meinen wahren Wünschen und Bedürfnissen. Bei der Intention geht es um meinen Fokus und meine Verantwortung. Erwartungen beziehen sich oft auf andere, was sie tun sollten und wie sie sich verhalten sollten … und diese Erwartungen (auch uns selbst gegenüber) schaffen oft eine Story, wie die Zukunft aussehen wird, was oft zu Enttäuschung statt zu Entdeckung führt.
Dazu kommt, dass wir, wenn wir uns unserer Intention nicht bewusst sind, vom Partner eine „Belohnung“ erwarten: Nachsorge, wiedergutmachen, was du durchgestanden hast, deinen Partner für negative Gefühle verantwortlich machen … Besser du fragst dich selbst: Warum möchtest du Seme-nawa machen? Was bringst du auf die Tatami mit?
„Erwarte nicht, dass du wunderschön aussehen wirst. Frag dich selbst, warum du gern im Seil bist. Frag dich selbst, was du in dir hast, das durch das Seil an die Oberfläche kommen soll.“ Miho Ikeda
2. In deinem Körper sein
Körperbewusstsein ist ein Zustand, der geübt werden muss. Je mehr wir das tun, desto einfacher wird es. Du musst keine Meditations- oder Yogakurse besuchen – das geht auch beim Joggen, Geschirrspülen oder Busfahren. Mit „im Körper sein“ meine ich, sich selbst zu spüren, unsere Körpersignale zu bemerken, wahrzunehmen, wenn wir schwitzen, erröten, hungrig oder unruhig sind. Nervös das Bein zu schütteln oder uns zu kratzen, wenn wir uns unwohl fühlen und uns anspannen, das warme Gefühl in unserem Herzen gegenüber einer Person zu spüren – alles einfach wahrnehmen und registrieren: „Das fühle ich jetzt im Moment.“
Eine einfache somatische Übung namens „Body Scan“, die du auf meiner Website herunterladen kannst, kann dir helfen, die Fähigkeit zu entwickeln, in deinem Körper zu sein. Der Bodyscan dauert nur wenige Minuten. Praktiziere ihn einfach für drei Wochen, das wirkt Wunder für deine Erfahrung im Seil – versprochen!
Wofür brauchst du das?
So kannst du Freude und alle anderen Emotionen spüren – sie kommen aus deinem Inneren, nicht von außen. Genauso spürt man auch seinen Partner. In deinem Körper zu sein bedeutet nicht, dass du dich von deinem Partner entfernst, ganz im Gegenteil: Du beginnst, die andere Person wirklich zu fühlen, anstatt sie zu denken. Du wirst ihre Präsenz, ihre Intention spüren, du wirst ihre Unsicherheit, ihre Wünsche und ihre Verletzlichkeit spüren … So kannst du auch auf deine eigene Sicherheit achten … Und überhaupt: Wenn du nicht spürst, was das Seil mit dir macht, warum solltest du dann Seme-nawa überhaupt machen wollen?
3. Dein eigenes Ritual entwickeln
Finde ein Ritual, das dir hilft, den Alltag hinter dir zu lassen und mit deinem Partner in Seme-nawa einzutauchen. Das ist besonders wichtig für Paare. Auch im Leben ein Paar zu sein hat seine Vor- und Nachteile, wenn es um Bondage geht. Manchmal ist es sehr schwierig, die Dinge beiseite zu lassen, die einen beschäftigen, offene Auseinandersetzungen mit dem anderen, und sich direkt hinzugeben.
Ich bin selbst nicht so gut mit Ritualen, aber ich habe herausgefunden, dass für mich praktische Dinge wie das Wickeln der Seile für meinen Partner funktionieren. Ich nehme die Seile vor unserer Session zu Hause von der Stange an der Wand und wickle sie, und nach der Session kümmere ich mich wieder darum, jedes Mal. Auch nach jeder Übung im Workshop mache ich das. Es ist etwas Praktisches, das sich zu einem Ritual entwickelt hat, weil ich ihm einen Sinn gegeben habe. Ich mag es auch, mich kurz vor der Session zu dehnen, um meine Aufmerksamkeit weg von der Außenwelt und hinein in mich selbst zu lenken. Und ich habe für mich beschlossen, nicht zu sprechen, wenn ich im Seil bin. Es ist ein absolut nonverbaler Raum. Auf diese Weise kann ich so viel mehr hören: jede Bewegung des Seils, das Vibrationen in meinem Körper erzeugt, jeden Knoten, der ein Geräusch macht …
4. Deine Reaktionen zeigen
Viele Leute sagen, sie fesseln wegen der „connection“, der „Verbindung“. Ich bin mir nicht sicher, was das bedeutet. Unsere Lehrer Kinbaku LuXuria sprechen von Kommunikation in den Seilen. So kommunizieren wir: Mit jedem Seil stellen wir Fragen, wir sagen etwas und wir antworten. Wir teilen etwas, wir vertrauen, wir öffnen uns und zeigen uns, oder wir schweigen. Oft ist diese Kommunikation reiner und wahrhaftiger als die verbale Kommunikation, da der Körper beteiligt ist.
Hör einfach hin:
Spürst du die Spannung, die Intention des Seils? Was will es von dir? Verbiegt es dich gern? Oder nagelt es dich am Boden fest? Zieht es dich auf die Zehenspitzen? Beißt es dich? Streichelt es deine Haut? Geht es gerne deine Brust an oder will es in dein Höschen? Nimmt es sich deine Taille und hält sie fest? Flirtet es verführerisch mit dir … oder fällt es deine Knöchel an, damit du das Gleichgewicht verlierst?
Und wie fühlst du dich damit? Die Worte, die das Seil an dich richtet, machen etwas mit dir. Fühlst du dich gesehen und geliebt, schämst du dich und fühlst dich erniedrigt? Fühlst du dich schlecht behandelt oder wertgeschätzt? Fühlst du dich gestört? Wenn du die Botschaft hörst, kannst du antworten. Zeig es … Im Seme-nawa geht es nicht darum, „cool“ zu bleiben oder etwas durchzustehen und zu zeigen, wie stark du bist. Es geht darum, zu lernen, sich selbst auszudrücken. Dein Partner hat sich vielleicht sehr verletzlich gezeigt, um dir etwas zu sagen … und du könntest mit deiner Stimme, mit deinem Atem, mit deinen Bewegungen antworten … Lass deine Emotionen fließen, verstecke sie nicht. Wir verstecken uns alle im Alltag viel zu viel! SM bietet uns den Raum, um unsere Emotionen endlich einmal auszuleben.
5. Lernen zu atmen und dich in den Seilen zu entspannen
Unsere natürliche Reaktion, wenn wir mit Unbehagen, Schmerzen und intensiven Empfindungen konfrontiert werden, ist, dass wir uns verspannen, um uns vor einer möglichen Gefahr zu schützen. Die Art und Weise, die Wirkung des Seils im Seme-nawa in uns aufzunehmen, ist das Ausatmen, das Entspannen im Seil, das Akzeptieren dessen, was das Seil mit uns tut. Diese Fesselungen sollen intensiv wirken, dich herausfordern, dich an deine Grenzen bringen, dich emotional machen. Sie sind nicht dafür gedacht, dass du sie bekämpfst, sie aushältst, dir nichts anmerken lässt …
Unsere Denkweise beeinflusst unsere Erlebnisse sehr stark. Wenn du dich in Gefahr wähnst, verstärkt deine Angst die Empfindungen und löst Flucht, Kampf oder Erstarren, die Reaktionen deines sympathischen Nervensystems, aus, die dann die Kontrolle übernehmen. In diesem Fall verspürst du vielleicht noch mehr Schmerzen oder fängst an zu dissoziieren. Deswegen es ist sehr wichtig, den Unterschied zwischen „bequem“ und „sicher“ zu verstehen. Das ist bei Seme-nawa entscheidend. Wenn du das Vertrauen hast, dass du in Sicherheit bist, liegt es in deiner Macht, das Unbehagen anzunehmen, deine Atmung langsam und ruhig werden zu lassen und zuzulassen, dass das Seil dich „schmilzt“, bis eine emotionale Reaktion kommt. Wir können das unterstützen, indem wir angespannte Muskeln entspannen, weich werden und ausatmen.
„Ich atme langsam und tief, wenn möglich, langsam und erweitert, wenn meine Atemkapazität durch die Seile eingeschränkt ist. Die Atmung hat einen unmittelbaren natürlichen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung, sie hilft mir, mich zu entspannen, loszulassen und negative Gefühle loszuwerden …“ Red Sabbath
6. Die Verantwortung für deine Grenzen übernehmen
Die Verantwortung für meine Grenzen zu übernehmen bedeutet für mich, eine aktive Rolle einzunehmen, den Raum zu definieren, in dem wir gern spielen. Es ist eine Einladung an meinen Partner, mich herauszufordern, intensiv zu werden, tief zu werden.
Solch ein Spiel an der Grenze, wie Seme-nawa es ist, wenn man es intensiv und sicher zugleich spielen will, ist nur möglich, wenn die Person im Seil aktiv daran mitwirkt. Damit meine ich nicht, die Szene aktiv zu inszenieren und zu kontrollieren! 🙂 Vielmehr geht es darum, dass du dich deinem Partner aktiv anbietest, aktiv versuchst, die Seile zu akzeptieren, statt einfach nur passiv zu sein. Meiner Meinung nach musst du selbst dich kennen und wissen, was du willst (Intention) und dich im Moment spüren (Körperpräsenz). Das ermöglicht deinem Partner, dich an deine Grenzen und später sicher wieder zurückzubringen. Du entscheidest, wie weit du gehen möchtest, und lädst deinen Partner dorthin ein. Und wenn du „consensual non-consent“ spielen willst, funktioniert das genauso. Du ermöglichst dieses Spiel, indem du deinem Partner vertraust und selbst vertrauenswürdig bist.
7. Deinen eigenen Gefühlen am meisten vertrauen
Viele meiner Ratschläge zum Bottoming beruhen darauf: lernen, sich selbst zu spüren, und dann die Antwort in seinem Körper zu finden. Wahrscheinlich ist es frustrierend, keine klare formale Richtlinie zu haben, aber das wäre im Seme-nawa (wie bei allem, was mit dem Körper zu tun hat), irreführend und würde dich deiner Selbsterforschung berauben. Ich glaube, wir müssen wieder lernen, uns darauf zu verlassen, wie wir uns in Situationen fühlen. Wir müssen wieder lernen, uns selbst und den Menschen, mit denen wir spielen, zu vertrauen und und die Haltung entwickeln, dass wir eine große innere Stärke haben und Fehler eben passieren können, sonst erfahren wir nie etwas Neues über uns selbst.
8. Nimm deine eigene Kraft wahr!
Hier ist meine wichtigste Botschaft: Als Bottom im Seil bist du mächtig! Ich bin froh, dass die Zeiten vorbei sind, in denen in Workshops Bottoms als „passiv“ bezeichnet wurden. Mittlerweile ist unsere Rolle und unsere Verantwortung viel stärker ins Bewusstsein gerückt.
Wichtig ist, was wir mit dieser Kraft tun und was wir erschaffen. Ich fühle mich manchmal sehr geehrt, großartige Bottoms in Workshops und Shows zu sehen. Sie alle sind unterschiedlich, sehr einzigartig und gleichzeitig haben sie alle etwas gemeinsam: das Bewusstsein für ihre Macht, ihre Widerstandsfähigkeit, den großzügigen Raum, den sie ihren Partnern geben. Um ehrlich zu sein, schaue ich mir selten die Rigger an. Das Level des Kinbaku dieses „Seilpaars“ wird letztlich durch das definiert, was mit dem Model geschieht, durch das, was es da zu sehen gibt: Emotionen, Bewegung, Schönheit, Verletzlichkeit, wie tief sie es in sich hineinlassen. Als Beobachter sieht man es sofort: Ihr Gesicht verändert sich, das Echte kommt heraus, das ist immer schön im Leiden …
Das ist die Botschaft: Erkenne deine eigene Kraft und nutze sie, um deine Dynamik im Seil zu stärken, indem du selbstbewusst und aufmerksam bist, indem du vertrauenswürdig bist, indem du Verantwortung übernimmst.
Suche nach deinem eigenen Weg und deinem eigenen Ausdruck!
Deutsche Übersetzung: MissMila Cu