Wir haben jetzt die Bilder von drei Teams gesehen. Sie haben die Regie geführt, genaue Anweisungen für das Kinbaku gegeben, genaue Anweisungen für das Licht, und die genauen Einstellungen für die Kameras. Ja, Sie haben den Fotografen sogar die Anweisungen gegeben, wann und aus welcher Position sie auslösen sollten. Und trotzdem, die Bilder die wir von Ihren eigenen Shootings, die wir hier bezeugen durften, gesehen haben, haben eine ganz andere, eine magische Qualität. Wie kommt das? Was machen Sie anders?
Die Frage, die Riccardo Wildties in der Abschlussrunde stellte, lag uns allen auf dem Herzen.In der Tat, wir durften des grandiosen Workshops „Aesthetics of Kinbaku“ insgesamt drei Sets vom Meister der Kinbaku-Fotografie, Sugiura Norio, beobachten. Die Bilder – direkt aus der Kamera geladen, auf die Leinwand projiziert – hatten einen magischen Glanz, ganz ohne jede Nachbearbeitung. Die fünf Team-Fotografen haben einen großartigen Job gemacht, wie auch die Models, die Rigger, und die Assistenten in den Teams. Von der Magie des Meisters sind wir weit entfernt. Und dennoch sind wir – sind alle – inspiriert, fasziniert, dankbar und erschöpft nach drei intensiven Workshop-Tagen nach Hause gefahren.
Diese drei Tage in der Kinbaku Lounge werden sicher sowohl unser Kinbaku verändern als auch noch einmal eine neue Dimension für die Fotografie eröffnen. Suigura hat sehr viel Wissen geteilt, Bilder aus seiner 45-jährigen Karriere als Kinbaku-Fotograf gezeigt und kommentiert. Wir haben über die Unterschiede der Analog-Ära zur heutigen digitalen Zeit gesprochen und über subtile Details, die ein Bild interessant machen. Doch diese Einsichten waren nichts gegen die Eindrücke, den Meister bei der Arbeit zu sehen.
Der kleine, freundliche, ältere Mann wird zum Derwisch. Jedes Detail muss stimmen. Alles muss schnell gehen. Wehe dem Assistenten, der nicht fix genug versteht, in welche Richtung das Licht getragen werden soll. Suigura ist die ganze Zeit in Bewegung. Wie ein Boxer bewegt er sich in federnden Bewegungen vor und zurück. Er korrigiert das Licht. Er korrigiert die Haltung des Models. „Seil, mehr Seil“ ruft er, und schnell muss ein weiteres Seil angeknüpft werden. Sein Fetisch ist das Haar. Sanft, aber sehr bestimmt formt er die Haare der Models nach seinem Geschmack. Wir alle schwitzen in dem dunklen Raum. Sugiura ist zu 100 Prozent präsent. Er sieht jedes kleinste Detail. Natürlich sind alle aufgeregt und natürlich ist die Kommunikation schwierig. Die fünf mutigen Menschen, die sich als Rigger gemeldet haben, sind in höchstem Stress. Alle Augen sind auf sie – auf das Ego – gerichtet. Und wie soll man wissen, dass der Meister das „Hüftseil“ an der Brust haben will? Oder dass ein bisschen „Dekoration“ am Bein dann doch der Futo-Momo zur Suspension wird? Die Bilder, die wir am Anfang als Inspiration sehen, haben schon keine Gültigkeit mehr, bevor noch der erste Knoten geschlossen ist. Das Seil stockt, in der Hitze, auf schweißnasser Haut.
Die fünf Models haben es – nach eigener Aussage – am besten. „Wir mussten ja nichts machen“. Die Positionen sind anspruchsvoll, das Seil tut seine Wirkung. Mit seinem Model, seiner Muse, Miho, geht Sugiura viel weiter. In all dem Chaos, inmitten all der Menschen im Raum tauchen sie in eine eigene Welt – die sich nach außen in gewaltiger Intensität subtiler Gesten ausdrückt. Wir halten den Atem an…
Auf Riccardo’s Frage gab es keine Antwort. Sugiura spricht von dem Geist der Szene – oder den Göttern? Geister, Götter – Kami: für uns Westler nicht einfach zu verstehen. Technisch gesehen, sind die Sets relativ simpel aufgebaut: ein bis maximal drei handelsübliche Blitze. Wichtiger sind Sugiuras absolute Detailverliebtheit und seine fast manische Leidenschaft für das was er tut, sowie eine absolute Präsenz. Als Fotograf habe ich den Eindruck, dass man noch sehr seine Wurzeln in der Analog-Ära spürt. Die sorgfältige Komposition, die präzise Lichtführung – und die Anzahl der tatsächlichen Auslösungen unterscheiden ihn von uns digitalen Dauerklickern.
Wir sind voll mit Eindrücken und Inspirationen zurück nach Berlin gekommen. Natasha NawaTaNeko durfte für ein Set Model sein – im Seil von Wykd Dave und fotografiert von Glover Brook. Arekusanda durfte in einem anderen Team das Seil (aus)führen, mit tiedupandpersonal als Model und Amaury Grisel als Fotograf.