Dieser Artikel ist eine Übersetzung des Originals von Zetsu Nawa in Kinbaku Today On not teaching ropes. Ich danke dem Autor für das Vertrauen und die Erlaubnis zur Publikation in Deutsch und mipais für die Übersetzung.
Letzte Woche habe ich bei Fetlife ein paar Einträge über Seil gelesen- das war ein Fehler. Ich hätte es wirklich besser wissen müssen. Nachdem ich einen Bericht über einen Seil-Unfall (Rope Incident Report) gelesen habe, habe ich viel darüber nachgedacht, warum so viele Unfälle mit Verletzungen passieren und wie damit umgegangen wird. Natürlich gibt es da das obligatorische „mea culpa“, gefolgt von Kommentaren, wie mutig die Verfasser sind, ihre Fehler öffentlich zuzugeben. Wir erfahren wertvoller Weise, dass „Verletzungen unvermeidlich sind“ und sogar sehr erfahrenen Riggern passieren (die „schon“ mehrere Jahre lang fesseln), und dass es uns alle für die Gefahren sensibilisiere. Diese Vorgehen ist jetzt so üblich geworden, dass es fast ein eigenes Genre darstellt, die Seilapologetik.
In einem speziellen Fall war unser mutiger und herausfordernder Rigger auch voll des Wagemuts, ein Held im Angesicht eines grausamen Schicksals, das uns mit Verletzungen trifft und all den miesen Gefühlen in deren Gefolge straft. Doch er wird furchtlos weiter kämpfen, wird weiter „intensive Suspensions“ machen und weiter Shibari-Unterricht geben.
Das Problem daran, in meinen Augen, ist, dass diese heroischen Bekenntnisse niemals zwei der wichtigsten Lektionen beinhalten. Die erste ist, dass Verletzungen und Fehler einem zeigen, dass man vielleicht nicht soviel weißt, wie man glaubt. Und die zweite ist, dass man die Fesselung, die man scheinbar beherrscht (weil so oft nichts dabei passiert ist) doch nicht so gut verstanden hat, wie man dachte.
Mit beidem habe ich selbst Erfahrung. Ich kann alle Verletzungen, die ich verursacht habe, auf zwei Quellen zurückführen: mein Unwissen und meine Inkompetenz. Wir alle haben diese beiden Probleme. Mit Übung, Unterricht und Zeit können wir sie beheben. Oder vielleicht nicht beheben, aber wir können uns bewusster darüber werden und die damit verbundenen Risiken minimieren. Auch können wir besser darin werden, unsere Partner über die Risiken aufzuklären, die sie beim Fesseln mit uns eingehen.
Das größere Thema ist für mich hier nicht, wie Leute fesseln. Solange alle im Boot und mit den Dingen einverstanden sind und die Risiken auf sich nehmen, ist jeder absolut frei, mit den Seilen zu tun was er mag. Ich fühle mich der geistigen Strömung zugehörig, die sagt: „Seil ist gefährlich“ (so wie vieles im BDSM).
Anders denke ich über das Unterrichten.
Bei jenem letzten Fall habe ich mir die Bilder von der „sehr intensiven Hängefesselung“ genau angesehen. Zwei Dinge sprangen sofort ins Auge. Als erstes, dass die Bilder den Look zweier sehr bekannter japanischer Bakushi replizieren sollten. Als zweites, dass sie viele sehr merkwürdige Lösungen enthielten.
Ich meine mit „merkwürdigen“ Lösungen nicht unbedingt „gefährliche“. Mein Eindruck war vielmehr, dass die fesselnde Person wusste, wie das Endergebnis aussehen sollte, nicht aber, wie man gut dahin kommt. Kleine Dinge, zum Beispiel, wo das Seil am Bambus befestigt war. Wo (und in welchem Winkel) Seile sich überkreuzten, und andere kleine interessante Punkte, bei denen jetzt keine Alarmglocken klingelten, die aber merkwürdig aussahen.
Teilweise sah das einfach nicht gut aus in meinen Augen. Was wichtiger ist: man konnte daran erkennen, ich jedenfalls, dass die fesselnde Person ein paar basale Konstruktionsprinzipien dieser Figuren anscheinend nicht verstanden hatte. Das macht mir nicht deswegen Sorgen, weil es per se gefährlich gewesen wäre. Vielmehr darum, weil es mich denken lässt, dass die fesselnde Person nicht weiß, ob es gefährlich ist oder nicht.
Wenn man weiß, dass Technik A sicher ist, und warum, wird man mit höherer Wahrscheinlichkeit eine sichere Fesselung bauen als wenn man Technik B benutzt, von der man keine Ahnung hat, ob sie sicher ist oder nicht. Schlimmer: ich weiß nicht mal, ob diese Person überhaupt den Unterschied zwischen den Techniken A und B kennt. Vielleicht denkt sie, sie benutzt A, wenn sie gerade B anwendet, und so weiter.
Wir sprechen hier über die Grundlagen von Konstruktionen. Man muss die Physik dahinter nicht verstehen, kein Ingenieur sein und Kraftvektoren berechnen können. Aber man muss Dinge wissen, wie „wenn ich hier ziehe, wird es dort enger“, und: „wenn ich diese beiden Dinge verbinde, wird die Fesselung unausgewogen“ etc.
Wenn man diese Dinge lernt, sogar mit den besten Leuten in Japan, wird vermutlich nichts davon erklärt. Es ist in die Fesselfiguren eingewoben. Es gehört zu jenen Dingen, die man nach Jahren oder Jahrzehnten in einem bestimmten Ryuu zu verstehen beginnt. Und wenn man unterrichtet, ist die wichtigste und essentiellste Aufgabe, genau das weiter zu geben.
Meiner Erfahrung nach haben diese Lektionen in Japan die Form von „Nein, nicht da. Dort.“ Das ist alles. Man bekommt die Dinge gezeigt und gesagt. Wenn man nach einem Grund fragt, bekommt man wahrscheinlich eine relativ kurze Antwort, die selbst wieder aufwändig entschlüsselt werden muss.
Das Hauptproblem damit ist, jedenfalls für die meisten westlichen Lernsettings, also Intensivkurse oder Workshops, ist, dass man hier Kompetenz erlernt, keine Fachkunde. Das ist ein wesentlicher Unterschied, insbesondere wenn man lehrt. Kompetenz ist wichtig, damit der Fesselpartner bei einem in sicheren Händen ist. Fachkunde/Wissen ist wichtig, sogar eine Voraussetzung, wenn man anderen beibringen will, sich kompetent zu verhalten.
Kompetente Kinbakushi sind nicht unbedingt gute Lehrer.
Vor kurzem sah ich ein Video mit der Beschwerde, nicht zu unterrichten sei eine Form des „Gatekeeping“, und dass, wenn man das Wissen habe, es aber nicht teile, man auch das Recht verwirke, sich über gefährliches Tun bei anderen zu beschweren. Das mag in den Fällen stimmen, in denen jemand absichtlich Wissen zurückhält, dass für die Sicherheit anderer wichtig wäre.
Aber oft sehe ich das Gegenteil: ein fast verzweifelter Drang, anderen beizubringen, was man gelernt oder gesehen hat. Menschen, die lernen zu fesseln, und die Instagram-würdige Fotos davon machen oder regelmäßig in der „kinky and popular“- Sektion landen, werden oft als fachkundig angesehen, obwohl sie vielleicht einfach ein hohes Kompetenzlevel zeigen.
Als ich mit anderen über den letzten Rope Incident gesprochen habe, war ich von manchen Fragen überrascht. Leute wollten wissen, was ich an den Bildern, die die Person gepostet hatte, falsch fand. Das waren erfahrene Leute mit langer Lernerfahrung, die auf hohem Kompetenzlevel fesseln.
Kompetenz ist wichtig. Sie entscheidet darüber, ob dein Partner sicher ist. Sie bedeutet aber nicht, dass du verstehst, was du tust und warum, was aber die minimalen Voraussetzungen dafür sind, das anderen beizubringen.
Wie weiß man also, dass man fachkundig ist und nicht einfach kompetent? In einiger Hinsicht ist das eine persönliche Einschätzung. Aber für mich gibt es ein paar Indikatoren: wenn man kein wesentliches Gespräch über die Fesselung führen kann, die man unterrichten will, ohne Seil in der Hand haben oder die Fesselung gerade auszuführen, dann hat man wahrscheinlich keine große Fachkunde darüber. Wenn man nicht in Worte fassen kann, welche Entscheidungen man in verschiedenen Momenten trifft, und wie diese die Ästhetik, Gefühle und Anmutungen der Fesselfigur beeinflussen, hat man wahrscheinlich kein großes Wissen darüber. Wenn man nicht definieren kann, was wichtigere und unwichtigere Momente in der Figur sind, je nachdem, welche Effekte man erzielen möchte, und wie das die Risiken der Fesselung verstärkt oder abmildert, hat man vermutlich nicht viel Wissen darüber.
Dennoch: nicht in diese Weise fachkundig zu sein, bedeutet nicht, kein unglaublich kompetenter, sicherer und erstaunlich talentierter Bakushi sein zu können. Es gibt eine Menge Leute, die nicht diese Art von Fachkunde haben mögen, von der ich hier rede, die ich jedoch jederzeit Fessel-Willigen empfehlen würde, und deren Fotos und Vorstellungen ich unglaublich genieße.
Die andere Möglichkeit, die den viel schwereren Weg darstellt, ist zu warten, bis man aufgefordert wird.
In den meisten Fällen, in denen man einen Japaner fragt: „Ist es okay, wenn ich das unterrichte?“, wird der „ja“ sagen. Wenn man fragt, wird man die Antwort bekommen, die man wünscht, hauptsächlich weil Japaner ungern „nein“ sagen. Es bedeutet aber nicht viel. Was es bedeutet, ist, dass man denjenigen in eine unangenehme Situation gebracht hat und dieser die Antwort gibt, die sie möglichst schnell beendet.
Ganz anders ist die Lage, wenn der Lehrer einem sagst, dass man unterrichten sollte. Das ist das Signal, dass man nicht einfach als kompetent angesehen wird, sondern auch als fachkundig. Es ist dann keine bloße Erlaubnis, sondern mehr: eine Auftrag.
Wenn man selbst auf die Idee kommt, zu unterrichten, bedeutet das nicht viel. Ist es die Idee des Lehrers, bedeutet es eine Menge.
Wenn die Seil- Ausbildung im Westen sich weiter entwickeln soll, brauchen wir meiner Meinung nach zwei Dinge. Als erstes, dass wir die Unterscheidung zwischen Kompetenz und Fachkunde anerkennen, wenn es zum Teilen von Wissen zu Fesselungen kommt. Und dass unsere Ausbilder mehr Zeit mit dem zweiten Aspekt verbringen müssen. Der Fachkunde-Aspekt bedeutet harte Arbeit. Er ist oft langweilig. Dafür bekommt man nirgendwo Likes. Die Verbesserung auf Bildern wird nur für sehr wenige Leute sichtbar sein, die die kleinen Unterschiede zwischen deinen Fesselungen und denen anderer bemerken werden. Es gibt wirklich kaum Belohnungen.
Als zweites, dass Leute nicht mehr etwas unterrichten, über das sie keine Fachkunde haben. Das wird schwer, weil die meisten Menschen nicht wissen, was sie nicht wissen. Und die aller-, allermeisten wollen das auch nicht herausfinden. Noch schlimmer ist, dass man mit zunehmender Fachkunde feststellt, dass die wirklich coolen, verrückten Sachen, für die das Ego die meisten Belohnungen bekommt, wenn man sie unterrichtet, viel schwerer sind, als man dachte. Man fängt an zu denken: „Ich kann doch nicht alles, was ich für eine einfache Handgelenkfesselung brauche, in zwei Stunden abdecken!“
Seil zu unterrichten, hält viele Belohungen bereit: soziales Kapital, Zugang zu Spielpartnern, Streicheleinheiten für das Ego, in sozialen Medien gefeiert werden. Zu diesem Wohlfühl-Feedback und dieser Art Anerkennung auf Abstand zu gehen, ist hart.
Um fachkundig/wissend zu werden, was Seil anlangt, schlage ich als Weg nicht vor, mehr Fesselungen, Muster, Suspensions oder technische Fertigkeiten zu lernen. Der Weg vorwärts führt über Gespräche. Rede mit jedem, den du finden kannst, der mehr weiß als du. Such nach ihnen. Nicht, um irgendeine Technik zu lernen, sondern um zu erfahren, warum sie fesseln und warum sie bestimmte Entscheidungen dabei treffen.
Redet mit Rope Bottoms. Sie wissen so viel, werden aber selten gefragt. All meine besten Lehrer waren Rope Bottoms.
All diese Dinge brauchen Arbeit, Zeit und Mühe. Aber ich glaube auch, dass so Shibari so für alle Beteiligten viel besser, sicherer und schöner werden kann.
Übersetzt von mipais