Wie entstehen die Positionen im Kinbaku?

Dieser Teil ist halb Theorie und halb Philosophie. Ich lasse Euch damit an meiner Forschung teilhaben. Das Thema beschäftigt mich. Ich habe Fragen, aber noch keine klaren Antworten…

Wir also entstehen die Positionen im Kinbaku? Und was bedeuten sie?

Ich möchte mit der Negation anfangen: wie sollten Positionen meiner Meinung nach nicht entstehen? Sie sollten, denke ich, nicht so entstehen, dass wir uns zu einer Kata-ashi (S-Shape, M-Shape, …) Session verabreden, und dann die Routine durchturnen – halt nur im Kleid und mit Musik… Die Positionen üben ist wichtig: in der Praxis, für die Praxis – nicht in der Session.

MU

Mu ist die Leere. Es gibt mushin no shin (無心の心), was im Zen oder Bushido der „Geist ohne Geist“ oder der „Nicht-Geist“ ist. Nicht Geisteslosigkeit – sondern ein Geist, der frei von Ego, Gedanken, Vorurteilen und Konzepten ist. Ein leerer Geist – eine Voraussetzung für wahre Spontaneität. Es gibt auch einen Cousin: Muga (無我) – Selbstlosigkeit.

In der Theorie sollten wir mit leerem Geist fesseln. Ein idealer Spiegel für die Inspirationen die von unseren Partnern kommen, für unsere Emotionen und Intention.

Aber wie soll das gehen? Wir sind doch keine Zen-Mönche! Natürlich haben wir Positionen im Kopf: die vom letzten Workshop, von RopeFlix, aus Instagram, die, die wir letzte Woche gemacht haben, die die „unsere Partner besonders mögen, etc. pp.

Und wenn wir dann schon mal „intuitiv“ fesseln, dann wird es komplett chaotisch, eine ganz andere Ästhetik – oder schlimm: gefährlich. Man kann sich auch „verfesseln“. Aber eine Session ist erst dann vorbei, wenn das Model wieder sicher auf dem Boden ist. Oft merkt man erst beim „runter holen“ dass die Improvisation nicht gut auflösbar ist…

In diesem Spannungsfeld will Kreativität wachsen. Der Stil dem wir folgen hat den Vorteil, dass man sich um manche Dinge keinen Kopf machen muss. Wir haben eine gewisse Intention: Herausforderung, Leiden, Langsamkeit, Progression – kein Kuschel-Bondage, kein Playfight, kein Switching-Dancing… Wir fangen (fast) immer mit dem Gote an. Oder mit einem Arm-Binder… Es gibt gewisse Einschränkungen in der Ästhetik, die uns Entscheidungen vorgeben.

Suspense

Mein derzeitger Ansatz ist, mich selber in „Suspense“ (nicht Suspension) zu bringen. Ich halte mich also quasi selbst im Ungewissen, spanne mich auf die Folter: Was werde ich wohl als nächstes tun?

Damit mache ich genau das Gegenteil von der anfangs erwähnten Strategie: Wenn ich weiß, was mein Ziel ist, also welche Position ich heute machen will, dann komme ich in einen Automatismus. Gote hier, Suspensionline da, Single Column hier (schön fest, haben wir gelernt), Harness da… ziehen hier, drücken da: fertig ist die Position X.

Wenn ich mich zwinge, nicht in der Endposition zu denken, sondern nur an den nächsten Schritt, dann kann ich (manchmal) diesem Endpositionsdenken entfliehen. Mien Geist ist sicher nicht „MU“ aber zumindest bin ich nicht in der Routine.

Werkzeuge

Ihr habt alle Tools für diese Strategie in der Hand. Naka Ryu ist ein sehr reduzierter Stil. Single- und Double Column Tie, Doppelwicklungen, Counter-Tension, ein, zwei Friktionen… Das wars.

Der Anfang ist immer gleich. Seiza. Die Arme auf dem Rücken gekreuzt. Die Handschelle, das erste Seil. Ein zweites, ein drittes – der Gote muss sitzen. Der Gote ist die Basis für alles!

Dann kommt die erste Entscheidung – schon hochziehen, oder noch am Boden bleiben? Und wenn die Entscheidung getroffen ist – was dann? Einen fertigen Harness knüpfen, oder doch erst mal nur irgendwo (dort wo Euch die drei I: Intention, Intuition, Inspiration hinführen) einen Single- oder Double Column Tie? Kann man daran schon ziehen? Den Körper schon formen? Wo will das nächste Seil hin?

Klar, irgendwann braucht Ihr einen stabilen Harness, vor allem dann, wenn Ihr in die Suspension wollt. Dieser Moment kann aber immer weiter hinaus geschoben werden. Seil um Seil…

Dabei entsteht Bondage wie ein Jazzstück. Man folgt einigen Grundregeln und kreiert es spontan. Ein Muster passiert… Figuren tauchen auf…

Und vor allem: Du bist im Einklang mit Deinem Partner, mit Dir selbst und Deiner Absicht – nicht getrieben von einem äußeren Ziel.

Und dort beginnt der Spaß.