In diesem Artikel möchte ich darüber nachdenken, wie beim Shibari Muster entstehen und wie wir einen Körper um seine Drehpunkte herum organisieren. Ich glaube, dass eine Form – die Kata (型 oder 形) – notwendig ist, um Bewegungen einzuüben und das Muskelgedächtnis aufzubauen. Sie ist aber nur zum Üben da.
Wenn wir wirklich fesseln wollen, müssen wir außerhalb der Kata fesseln.
„Das Seil ist frei“ sagt Naka Akira
Aber wenn „das Seil frei ist“ – wie entstehen dann die Figuren und die Positionen?
Ich denke, es gibt einen Raum, in dem Bondage statt findet, der zuerst einmal nur durch Physik (Zugspannung, Friktion, etc.) und Anatomie (des Models) bestimmt ist. In diesem Raum ist alles möglich, aber nicht alles „sinnvoll“. Ausserhalb dieses Raumes zu fesseln, ist schlicht falsch oder gefährlich. Eine Friktion, die offen ist, hält schlechter als eine geschlossene, ein Kreuzknoten besser als ein Altweiberknoten. Punkt.
Wir vesuchen innerhalb des Möglichkeitsraumes sinnvolle – also wirksame Muster, Figuren und Positionen zu finden. Und wir treffen dabei spezielle formelle & ästhetische Entscheidungen. Die Summe dieser Entscheidungen formt einen Stil. Einen Gote kann man so fesseln wie Nureki, Chimou oder wie Akechi Denki oder auch modern, europäisch. Ein Hishi-Harness ist eben auch eine legitime (und wirksame) Oberkörperfesselung – nur eben mit einer anderen Wirkung und sicher einer anderen Ästhetik.
Basis-Elemente & Harnesse
Wenn man sich die fundamentalen Strukturen von unserem Stil anschaut, dann bauen sich die komplexeren Muster aus wenigen Elementen auf:
Wicklung oder Doppelwicklung, Gegenspannung, Friktion, X-Friktion, Kreuzknoten, Chinge, Half-Hitch, … usw.
Auch die Harnesse entstehen durch Kombination der Grundelemente. Wenn wir über die „Kata“ / Form für die Harnesse sprechen, muss klar sein, dass sie nur durch die Definition als fixe Form existieren.
Ein Harness ist einerseit eine Umhüllung eines Körperteils (also Oberkörper, Hüfte, gefaltetes Bein usw.) und gleichzeitig macht er etwas mit diesem Körperteil oder sogar mit dem ganzem Körper. Ein Mermaid zwingt die Oberschenkel zur Taille, biegt den Unterkörper in eine 90° Position – und wenn man steht, drückt es dabei den Po heraus.
Wenn man am Anfang eines Weges steht, helfen diese Definitionen, die fixen Formen, sich zurecht zu finden. Es ist klar, was gelernt werden muss. Später werden die Formen / Katas zu Übungen, bestimmte Prinzipien, Bewegungen oder Konzepte zu verinnerlichen. Beim Agura können wir kurze Stämme einüben und den Verbau von Restseil, beim 1-Seil Mermaid (im Stehen gefesselt) eine bestimmte Bewegung den Unterkörper in Form zu zwingen und beim Armbinder zum Beispiel Seilspannung zu halten und im Fluss zu sein.
Das heißt aber nicht, dass das immer genau die Formen sind, die wir in der Session, im Spiel (beim Photoshoot) fesseln sollen. Im Gegenteil, je besser wir die Formen verstehen desto mehr lösen wir uns davon. Und oft müssen wir damit recht zeitig anfangen: weil wir wechselnde Partner haben, die Seillänge nicht stimmt – oder sonst etwas anderes vom Ideal abweicht. Immer wieder sind wir gefordert, kreative Lösungen zu finden.
Positionen
Wenn wir uns den Positionen zuwenden, dann wir der Raum größer und alles komplexer. Zuerst müssen wir zwischen den Körper-Positionen und den Positionen im Raum unterscheiden. Ich kann einen Gyaku-ebi auf dem Boden formen oder in Suspension. Und in Suspension ist es ein Unterschied, ob das Model horizontal dicht unter dem Bambus hängt, oder vertikal aufrecht oder gar kopfüber nach unten. Trotzdem ist es immer ein Gyaku-ebi, also eine Körperposition mit Rückwärtsbiegung im unteren Rücken.
Die meisten Positionen entstehen indem die beiden Schwerpunkte des Körpers in Beziehung gesetzt werden: Schultergürtel und Hüfte. Nehmen wir die einfache Routine Mermaid-Suspension. Aus der stehenden Position heraus entsteht durch Suspension am Harness ein „Z-Shape“ (die Namen sind Schall und Rauch!) mit den Knien relativ nah am Bambus. Die Schultern sind in der Torsion ein kleines bisschen unterhalb der Hüften. Diese Position bringt viel Druck auf den unteren Rücken in der Torsion. Ein wichtiges Element ist Kompression.
In der (Routine / Kata) Progression bringen wir anschließend den Oberkörper herunter, soweit bis sich die Hüfte öffnet. Es entsteht der klassische „S-Shape„. Der Kompressionsdruck auf den unteren Rücken verschwindet, der Körper geht in Expansion zusätzlich zur immer noch vorhandenen Torsion. Der Oberkörper (der Gote) wird entlastet – und das Model „bezahlt“ dafür mit viel Last auf dem Taillien-Seil.
Aber davor, dazwischen, danach sind viele andere Positionen möglich. Eigentlich ist es ein Kontinuum. Ich kann ja die beiden Hängeseile beliebig in ihrer Position verändern – und damit die Position der beiden Körperschwerpunkte (Hüfte / Schultern) in der Torsion.
Manche von den theoretisch möglichen Positionen fühlen sich einfach (anatomisch) schlecht für das Model an. Andere wirken weniger ästhetisch harmonisch. Wieder andere aber sind nicht ideal im Sinne der Kata, haben aber Potential etwas zu entwickeln. Das ist der Startpunkt für kreatives Spiel. Ihr dürft die Regeln brechen, und experimentieren.
Kleine Schritte. Was passiert, wenn Ihr ein klein wenig über der idealen S-Shape heraus geht? Oft wirkt die Figur dann flach, unbelebt – das Model „hängt wie ein Sack im Seil“. Aber, was passiert, wenn Ihr dann ein Seil vor an den Gote anbaut um ein bisschen Spannung zu geben? Wie wirkt sich eine Drehung der Figur durch Zug an einem Fuß aus?
Das ist die Einladung: Experimentiert mit den bekannten Figuren. Bewegt Euch ein kleines bisschen aus dem Ideal, der Kata heraus. Fügt ein Seil dazu, zieht, bringt den Körper in Spannung. Beobachtet.